Zur Geschichte christlicher Bestattungen

Die frühen Christen übernahmen die im Römischen Reich üblichen Bestattungsbräuche: Innerhalb der Stadtmauern durften damals keine Bestattungen stattfinden. Daher wurden Verstorbene auf Friedhöfen außerhalb der Städte begraben, sofern nicht Platzmangel oder Verfolgung die Christen zwangen, ihre Toten in den Katakomben, den unterirdischen, weitverzweigten Begräbnisstätten, zu bestatten.

Im Mittelalter war der Tod für die Menschen viel öffentlicher und weniger tabuisiert als heute, ja eigentlich eine Alltäglichkeit, die das gesamte Leben prägte und beeinflusste. Die auf römischer oder germanisch-keltischer Tradition beruhenden Gräberfelder außerhalb der Orte wurden aber ebenso wie die Feuerbestattung als heidnisch abgelehnt. Stattdessen verlagerte man die Bestattung in den Umkreis der Kirchengebäude: Aus dem „Friedhof“ wurde der „Kirchhof“. Der Grund war, dass in den Kirchen die Reliquien von Heiligen aufbewahrt wurden. Die Gläubigen strebten danach, so nahe wie möglich bei den Überresten ihrer Heiligen begraben zu werden, denn den Reliquien sprach man eine heilsbringende Wirkung zu, die auch durch die Kirchenmauern hinaus auf den Kirchhof reichte.

Wenn Dörfer und Städte gegründet wurden, bekamen die Kirche und der Kirchhof einen besonderen Platz. In den dicht bebauten, an freien Plätzen armen mittelalterlichen Städten war der Kirchhof oft der Vereinigungspunkt der Straßen und Gassen und häufig der belebteste Platz des Ortes. Er war nicht nur ein Ort für die Toten, sondern auch für die Lebenden: für Versammlungen, für Geschäfte aller Art oder Gerichtsverhandlungen.

Der Kirchhof als geweihtes Gelände wurde damals durch eine Einfriedung von der profanen Welt getrennt. Er bot sogar Asyl und bewahrte die Lebenden vor Verfolgung und Fehde. Vor allem auf dem Land war die Kirche oft das einzige feste Bauwerk und darum in Kriegszeiten manchmal der letzte Zufluchtsort. Und so hatten Kirchhöfe gelegentlich sogar Mauern mit Schießscharten oder Wehrgängen.

Waren diese umfriedeten und wegen der Bebauung ringsum nicht erweiterbaren Kirchhöfe voll belegt, konnte Erde in ausreichender Höhe aufgebracht und somit eine neue Ebene für Bestattungen geschaffen werden. Dies konnte im Laufe der Zeit mehrfach geschehen und führte zu dem Ergebnis, dass der Friedhof später höher lag als der Fußboden der Kirche, die er umgab.

Bestattungen in den Kirchengebäuden selbst waren eigentlich verboten, aber diese Regel wurde immer wieder umgangen. In der Kirche bestattet zu werden galt als besondere Ehre, die eigentlich Geistlichen, hohen Adligen und den Kirchenstiftern vorbehalten war. Allerdings gab es hier viele Ausnahmen, doch konnten sich nur Wohlhabende eine Begräbnisstelle innerhalb der Kirche leisten.

Aber: Auf dem Kirchhof beigesetzt zu werden stand im Mittelalter auch nicht allen zu. Bettler oder Angehörige „zweifelhafter“ Berufsgruppen wie Gaukler oder Schauspieler hatten hier keinen Platz. Das gleiche galt für Selbstmörder, Kriminelle und Personen, die exkommuniziert worden waren. Sie fanden nach dem Tod ihren Platz außerhalb der Stadtmauern in ungeweihter Erde. Die Leichen von Hingerichteten wurden auch einfach auf der Hinrichtungsstätte liegengelassen, oder sie wurden verbrannt und die Asche verstreut.

Ein „Problem“ stellten – nach damaliger Auffassung – Kinder dar, die ungetauft verstarben. Durch das Fehlen der Taufe waren sie ja kein Mitglied der Kirche und daher noch mit der Erbsünde behaftet und konnten deshalb nicht an der Auferstehung teilhaben. Häufig wurden sie, als „Nichtchristen“, daher nicht in geweihter Erde bestattet. Oder es wurde in der Friedhofsmauer eine Nische ausgebrochen und das Kind auf der Grenze zwischen geweihtem und weltlichem Boden begraben, in der Hoffnung, die Seele sei noch nicht ganz verloren. Es gab aber auch die andere Meinung, dass Kinder generell ohne Sünde seien und deshalb wie die Heiligen einen unmittelbaren Zugang zum Paradies hätten. Deshalb findet man manchmal Kindergräber am Chor von Kirchen, also an ganz privilegierter Stelle. Auch gibt es Bestattungen von Kindern längs der Kirchengebäude: Diese sogenannten „Traufkinder“ werden durch das vom Dach des Kirchengebäudes niederrieselnde Regenwasser sozusagen noch nach ihrem Tode allmählich getauft. Im protestantischen Volksglauben war dies später die allgemeine Auffassung.

Nun aber wieder zu den Gräbern in und bei den Kirchen. Der Platz in den Kirchen selbst wurde bis zum letzten Winkel ausgenutzt. Eine Kennzeichnung der Erdgräber unter dem Kirchenfußboden gab es normalerweise nicht, auch keine festgelegten Mindestruhezeiten. Die Anlage neuer Gräber lag im Ermessen des Totengräbers. Alltägliche unangenehme Begleiterscheinungen dieser Bestattungen waren Verwesungsdünste und ebenso auch, dass sich immer wieder stellenweise der Fußboden senkte.

Die Beerdigung erfolgte im Mittelalter, sofern es sich bei dem Toten nicht um eine hochstehende Persönlichkeit handelte, ohne Sarg (erst im 16. Jahrhundert gab es hier einen Wandel, es wurden nun auch untere Bevölkerungsschichten in “Truhen” bestattet). So kamen bei den ständigen neuen Bestattungen in den Kirchen oder auf den Kirchhöfen oft Gebeine aus älteren Gräbern zum Vorschein oder gar Leichen, die noch nicht vollständig verwest waren. Auch starke Regenfälle oder Erdbewegungen durch Frost ließen auf den Friedhöfen immer wieder Gebeine zutage treten. Die freigelegten Überreste wurden in den Vorhallen der Kirchen oder im Freien aufgeschichtet, wo sie von  vorübergehenden Gläubigen mit Weihwasser besprengt werden konnten und zu Besinnung und Gebet mahnten. Mancherorts gab es schon seit dem 12. Jh. auch Beinhäuser (Ossuarien) zur Aufnahme exhumierter Gebeine. Hier wurden die Schädel getrennt von den anderen Skelettteilen aufbewahrt – alles manchmal sehr kunstvoll aufgeschichtet.

Seit dem ausgehenden 15. Jh. gab es immer wieder Bestrebungen, die durch das Bevölkerungswachstum überbelegten Kirchhöfe vor die Stadttore zu verlegen. Dies gelang jedoch zunächst nur zu Seuchenzeiten oder bei Hungersnöten. Dann bestattete man die unzähligen Toten notgedrungen außerhalb der Städte in Massengräbern.

Zum Durchbruch kam es durch die Reformation. Die bisherige Einheit von Kirche und Begräbnisplatz wurde aufgelöst, da die Reliquienverehrung für Protestanten keine Rolle mehr spielte - eine Bestattung in der Nähe der Kirche war damit nicht mehr nötig. Vor allem in den evangelischen Gegenden begann man vereinzelt schon im Laufe des 16. Jahrhunderts, die Toten – wie zu Beginn der Christenheit – auf Friedhöfen außerhalb der Stadtmauern zu beerdigen. Auch wuchs langsam das Verständnis für hygienische Zusammenhänge, und als Ärzte vermehrt die Verlegung der Gottesäcker vor die Stadttore forderten, wurden im 18. und flächendeckend dann im 19. Jahrhundert Zentralfriedhöfe außerhalb der Wohngebiete angelegt.

Heute lösen sich Trauer und Gedenken zunehmend vom traditionellen Friedhof ab und verlagern sich in den privaten Bereich. Öffentliche Grabstätten haben an Bedeutung verloren, die Zahl anonymer Begräbnisse nimmt zu, und die Bestattung z.B. in Friedwäldern ist eine beliebte Alternative. Und mit den virtuellen Friedhöfen im Internet entstanden vom physischen Ort der Totenruhe völlig unabhängige, neue Gedenkformen. 

Maren Hellwig

(Quellen: www.rowane.de; www.wikipedia.de)

 

 

 




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